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Ergänzung zur Bürgerinfo 100, 08/2011, (2,5MB PDF) Download

MVA Salzbergen – was ist da eigentlich passiert?

Im April 2010 gab es einen außergewöhnlichen hohen Dioxin/Furane Messwert der AMESA-Probe von 0,17 ng/m3 . Würde man diesen Wert wie einen „üblichen“ Messwert „bewerten“, so käme man nach entsprechender Berücksichtigung von Messungenauigkeiten und Rundungsregeln nach TA-Luft (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft) bzgl. des Grenzwertes der Salzbergener Anlage von 0,05 ng/m3 auf einen „bewerteten Wert“ von 0,13 ng/m3 . Dieser Wert liegt aber immer noch weit über dem Grenzwert.

Grenzwertüberschreitung

Aber der Reihe nach. Was bedeutet der Grenzwert von 0,05 ng/m3 für die Salzbergen MVA: Der Wert bedeutet, das die SRS-EcoTherm einmal im Jahr gemäß 17. BlmSchV (Bundes-Immissionsschutzverordnung) eine Messung über einige Stunden während des Betriebes, also wenn gerade Müll verbrannt wird, durchführen muss. Daraus ergibt sich ein Messwert, vom dem die Messungenauigkeit abgezogen wird. Danach wird dieser neue Wert nach einer definierten Vorgehensweise aus der TA-Luft nochmals gerundet. Den daraus entstehenden Wert nennt man nun „bewerteten Wert“. Erst wenn dieser Wert über dem Grenzwert von 0,05 ng/m3 liegt, spricht die SRS-EcoTherm von einer Grenzwertüberschreitung.

AMESA-Messwert

Das AMESA-Gerät, welches auf Betreiben der BI-Salzbergen eingebaut worden ist, ist zunächst nur ein Probeentnahmegerät, welches kontinuierlich über einen Monat eine Probe aus dem Abgasstrom entnimmt. Wenn man diese Probe nun analysiert bekommt man einen quasi Mittelwert über einen ganzen Monat. Ist in einem Monat die Anlage mal herunter und wieder angefahren worden, dann tauchen auch die Immissionen aus diesem Zeitraum in der Probe auf. Leider steht bzgl. dieses Messwertes kein Grenzwert in der 17. BlmSchV noch in der Genehmigung der Aufsichtsbehörde. Das ist auch der Grund, weshalb die SRS beim einem Wert von 0,17 ng/m3 (bewertet käme man immerhin noch auf 0,13 ng/m3) immer noch sagt: „Es hat keine „formale Grenzwertüberschreitung“ gegeben.“

Mit anderen Worten: Da der Grenzwert nur bzgl. eine Messwertes während der Verbrennung von Müll definiert ist, scheint es keine Rolle zu spielen, was beim Anfahren der Anlage passiert!

Dioxin-Neubildung

Diese Ansicht kommt aus der Zeit, als man annahm, dass während der Anfahrphase einer MVA, bei der nur Gas oder Öl verbrannt wird, keine Dioxine vorhanden seien. Diese Annahme hat sich aber in der letzten Jahren nicht nur als falsch erwiesen, sondern das Gegenteil ist der Fall. Genau in dieser Phase entstehen aus restlichen Staubablagerungen im Kessel während des Anheizens bei einer Temperatur um die 250 – 350 Grad in größeren Mengen neue Dioxine, welche bei 800 Grad zerstört werden würde, aber so heiß ist die Anlage eben noch nicht!

Dieses Phänomen wurde nicht nur in Salzbergen, sondern auch in ähnlichen Anlagen in den letzten Jahren beobachtet, unter anderem Dank der AMESA-Proben, die diese Phase mit aufzeichnen.

Die SRS hat bis 2008 nur vier AMESA-Proben pro Jahr genommen, ab 2009 aber monatlich. Man kann erkennen, dass die Messwerte dann erhöht sind, wenn die Anlage aus dem kalten Zustand angefahren worden ist (z.B. Mai 2009, Aug 2009 und eben April 2010), so ein Gutachter.

Wenn man nun bedenkt, dass die Anfahrphase nur ca. 10 Stunden dauert (Aussage SRS-EcoTherm), also bei einem Mittelwert über einen ganzen Monat nur einen kleinen Zeitraum ausmacht, dann wird klar, dass in dieser Phase der Grenzwert schon enorm überschritten werden muss, damit die ganze Monatsprobe einen erhöhten Wert bekommt. Ein Gutachter geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass 90 Prozent der Dioxinfracht der Aprilprobe 2010 aus den Stunden der Anfahrphase stammten. Das führt zu der Rechnung, dass in diesem Zeitraum eine Dioxin/Furan-Konzentration von 10,7 ng/m3 vorhanden gewesen sein müssten. Der Wert läge dann mit dem Faktor 210 über dem Grenzwert!

Neues Verfahren im November 2010

Aufgrund dieser Problematik hat die SRS-Ecotherm das Karlsruher Institut für Technologien (KIT) um eine Stellungnahme gebeten. Das KIT bestätigte die oben beschriebene Neubildung von Dioxinen in der Anfahrphase und machte Vorschläge für eine Verbesserung der Anfahrphase.

Einige hat die SRS-EcoTherm umgesetzt und die Anfahrt der Anlage im November 2010 vom TÜV Süd begleiten lassen. Dabei wurden Messungen im Abgasstrom während des Anfahrens gezogen, die Werte um 0,03 ng/m3 ergaben, also knapp unter dem Grenzwert von 0,05 ng/m3.

Kritik

Ein Verfahrensfehler sei, so ein Gutachter, dass es keine Messungen im Rohgas (also vor dem Filterungsprozess) gegeben habe. Da es in der Vergangenheit bei den AMESA-Proben mit Anfahrphasen starke Schwankungen gab, kann man aufgrund der fehlenden Rohgasmessung nicht mit Sicherheit sagen, ob die niedrigen Messwerte im Reingas (nach der Filterung) aufgrund des geänderten Verfahrens entstanden sind, oder weil die Ablagerungen im Kessel zufällig zu geringeren Dioxinbildung im Rohgas geführt haben. Andersherum formuliert: Ohne die Messung der Dioxin/Furane-Konzentration im Rohgas lässt sich keine sichere Aussage über die Filterleistung aufstellen. Würde sich die Dioxinfracht im Rohgas verdoppeln, könnte das zu einer Verdopplung im Reingas führen und damit zu einer Überschreitung des Grenzwertes von 0,05 ng/m3.

Forderungen

Aus dem ganzen Vorgang ergeben sich für mich folgende Forderungen:

  1. Der Grenzwert von 0,05 ng/m3 muss auch für die monatlichen AMESA-Proben gelten (Diese Forderung hat der Rat Salzbergen (CDU/SPD) am 10.03.2011 gegenüber dem Gewerbeaufsichtsamt formuliert, aber bis heute keine Antwort erhalten.)
  2. Begleitung des nächsten Anfahrvorganges durch geeignete Maßnahmen mit Messungen der Dioxin/Furane-Konzentration im Roh- und Reingas (also vor und nach dem Filter), um die Abscheidefähigkeit der Filteranlage sicher zu dokumentieren.
  3. Da die Messwerte des Reingases in der Anfahrphase im November 2010 mit Werten um 0,03 ng/m3 unter dem Grenzwert von 0,05 ng/m3 lagen sollte nichts dagegen sprechen, den Grenzwert von 0,05 ng/m3 gerade auch für die Anfahrphase durch die Genehmigungsbehörde festschreiben zu lassen und die Anfahrphasen entsprechend zu beproben (es stehen in der Regel zwei Anfahrphasen Jahr an)

Nur mit diesen Forderungen ist sichergestellt, dass der Grenzwert von 0,05 ng/m3 durchgehend über alle Betriebsphasen hinweg sichergestellt wird. Der Bürger vertraut auf diesen Wert und muss von daher nicht akzeptieren, dass die Anlage Betriebszustände fahren dürfen soll, bei denen der Wert überschritten werden dürfte, wie das heute leider während der Anfahrphase der Fall ist.

Klaus Gödde
(stellv. Vorsitzender der BI gegen Müllverbrennung in Salzbergen e.V.)